Blockchain & Staat (Teil 2) – eine große Chance für die Wirtschaft

Nachdem ich mich im ersten Teil mit der Frage beschäftigte, wie uns die Blockchain zukünftig das ganze Leben über begleiten und dabei die öffentliche Verwaltung vereinfachen oder sogar in Teilen obsolet werden lassen könnte, möchte ich im zweiten Teil mit dem Einfluss der Technologie im Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft beschäftigen.

Um das Potential der Blockchain für Unternehmen nachvollziehen zu können, müssen dabei die fundamentalen Herausforderungen der modernen Datenverwaltung verstanden werden.

Datenvervielfältigung im Internetzeitalter

In unserer durch das Internet geprägten Gesellschaft ist es üblich, Daten mittels weniger Klicks mit Freunden und Kollegen zu teilen. Mittels einer Email kann ein Dokument in Sekundenschnelle an eine Person geschickt werden. Beide Personen verfügen nun über das Dokument, es wurde also dupliziert. Dieser Prozess kann beliebig wiederholt werden, wodurch die Vervielfältigung eines Dokuments theoretisch kein Ende kennt. Dies führt zu folgendem Problem: Je länger die Kette der Verbreitung wird, desto weniger kann der Ursprung nachvollzogen werden. Hierdurch steigt die Gefahr, dass ein Element der Kette Änderungen am Dokument vornimmt und so falsche Informationen verbreitet. Durch die exponentielle Vervielfältigung von Daten im Internet wird unweigerlich irgendwann die Frage aufkommen, welches der Dokumente das richtige ist. Welches Dokument stellt „die Wahrheit“ dar?

Die hohe Beweiskraft der Blockchain

Die Blockchain löst dieses Problem. Sie ermöglicht es dem Urheber seine Information nicht durch das Senden einer Email „freizugeben“, sondern den Zugriff mittels eines Eintrags in der Blockchain auf ausgewählte Personen, denen er das Lesen der Information erlaubt, zu beschränken. Da Informationen nicht anonym in die Blockchain eingetragen werden, sondern anhand einer Kennung klar identifizierbar sind, können die Empfänger das Dokument problemlos dem Urheber zuordnen.

Die Möglichkeit des Rechtsverkehrs eine Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Person zurechnen zu können, wird in der analogen Welt anhand von Unterschrift und Personalausweis sichergestellt. Der Wiedererkennungswert der Unterschrift unter einem Dokument und auf dem Ausweis führt zu einer klaren Einordnung, welche Erklärung durch welche Person abgegeben wurde.

Die Blockchain hält dieses Niveau an Beweiskraft und führt sie ins 21. Jahrhundert. Durch die Kennung wird dem Rechtsverkehr verdeutlicht, wer hinter der Information steht. Somit kann der Urheber die Vorteile der schnellen Informationsverbreitung des Internets mit der hohen Beweiskraft der Blockchain verbinden und gleichzeitig der (unendlichen) Verbreitung seiner Information bzw. dessen Fälschung Einhalt gebieten.

Aufgrund dieser einfachen Identifikationsmöglichkeit sind über die alltägliche Kommunikation zwischen Privaten hinaus etliche Anwendungsfelder zwischen Staat und Wirtschaft denkbar. Wenn sich der Unternehmer mittels der Blockchain im Internet ausweisen kann, warum sollte er dann lästige Termine bei Behörden wahrnehmen müssen?

Steuern, Gebühren und Abgaben

Die moderne Wirtschaft zeichnet sich durch weltweite Transaktionen aus. Dies führt zur Notwendigkeit der Unternehmen im Einklang mit den jeweiligen Umsatzsteuerrecht des Landes zu bleiben. Gleichzeitig beklagen die nationalen Finanzbehörden die fehlenden Möglichkeiten zur effektiven Überwachung der Steuermoral. Wie soll eine Behörde den Überblick über die unterschiedlichen Steuergesetze aller 28 Mitglieder der EU beibehalten? Kaum verwunderlich erscheint es deshalb, dass laut einer im Jahr 2018 veröffentlichten Studie der EU der Wert der nicht entrichteten Umsatzsteuer im europäischen Wirtschaftsraum auf 147 Milliarden Euro bemessen wird.

Folglich vermuten internationale Experten des Steuerwesens, die EU werde zu den Ersten gehören, die die Blockchain in ihr Umsatzsteuerrecht implementieren werde.

Dabei könnten alle Beteiligten der Lieferkette zur Dokumentation ihrer Geschäfte innerhalb eines Blockchainsystems verpflichtet werden, welches Rechnungsdaten, Versandinformationen, Warenbeschreibung, Kosten, Preise, Umsatzsteuerberechnung etc. bereitstellt. Diese Informationen würden innerhalb des Systems in Echtzeit zwischen den Unternehmen und den europäischen Finanzbehörden geteilt. Letztere könnten mittels einer Analysesoftware – ebenfalls in Echtzeit – die Steuern berechnen und mögliche Betrugsfälle frühzeitig erkennen. Auf Unternehmerseite könnte die Umsatzsteuer mittels Blockchain-basierten Lösungen, wie sie bereits durch Vertex angeboten werden, bereits bei Durchführung der Transaktion abgeführt werden. So würde allen Beteiligten ein erheblicher Verwaltungsaufwand erspart.

Im Bereich der Zahlung kommunaler Gebühren und Abgaben gibt es derweil bereits erprobte Lösungen. In der Schweizer Stadt Zug können Rechnungen bei der Stadtverwaltung in Höhe von bis zu 200 Schweizer Franken in den Kryptowährungen Bitcoin und Ether beglichen werden, was dem 30.000 Einwohner-Örtchen innerhalb der Blockchain-Community den Namen „Crypto-Valley“ eingebracht hat. Hierzu hatte ich bereits einen gesonderten Artikel geschrieben.

Zölle

Selbstverständlich können die Grundsätze der Umsatzsteuererhebung auch auf den Bereich des Zolls Anwendung finden, wie folgendes Beispiel der Capgemini verdeutlicht:

Ein chinesisches Frachtschiff mit einer Ladung Smartphones erreicht die Europäische Union an einem italienischen Hafen. Die italienische Zollbehörde registriert die Ladung in einer europäischen Zoll-Blockchain. Inhalte des Eintrags sind u.a. die zuständige Zollstelle, Art, Menge und Wert der Ware sowie eine Identifikationsnummer und eine digitale Signatur der Zollstelle. Sollte die Ware nach der Registrierung per LKW nach Deutschland überführt werden, könnten die beteiligten Zollbehörden Österreichs und Deutschlands schnell feststellen, über welchen Grenzübergang und in welcher Reihenfolge die Ware in die EU kam und ob bereits Zollgebühren erhoben wurden. Eine illegale Einfuhr könnte so frühzeitig erkannt werden. Dem Empfänger am Zielort wäre die Möglichkeit gegeben, nachvollziehen zu können, ob und wann die Ware ordnungsgemäß in die EU eingeführt wurde und wie lange sie unterwegs war. Dies kann gerade bei verderblichen Waren von entscheidender Bedeutung sein.

Nachverfolgung von Waren

Auch abseits des Zolls könnte die Überwachung von Medikamenten, chemischen oder giftig wirkenden Stoffen oder unter fragwürdigen Zuständen gewonnene Ressourcen wie Diamanten zu einem erhöhten Vertrauen in das „Asset“ führen. Unternehmen und Regierungen könnten potentiell jede Ware von der Schaffung, über die verschiedenen Stufen des Transports bis zum Verkauf überwachen.

Energiesektor

Die Energieerzeugung der Gegenwart und Zukunft wird dezentral und dezentralisiert sein, wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bereits feststellte. Immer mehr Verbraucher werden zugleich auch Produzenten von Strom aus Photovoltaikanlagen und Biomasse werden. Der Handel mit dem erzeugten Strom wird zunehmend über das Internet steuerbar sein.

Gerade deshalb erwartet die Energiewirtschaft Lösungen durch Blockchain-basierte intelligente Energienetze, die das Berechnen kleinster Energiemengen in das Stomnetz zu geringsten Transaktionskosten möglich machen soll.

Gewerbeanmeldung

In Dubai ist die Gewerbeanmeldung sowie die Antragstellung für etwaige Lizenzen bereits komplett in die Blockchain überführt worden. Die Blockchain-Strategie der Stadt sieht die papierlose Handhabung von privaten und öffentlichen Transaktionen bis zum Jahr 2020 vor. Dadurch erwartet man die Einsparung von 114 Millionen Tonnen CO2 Emissionen und 25,1 Millionen Stunden an Arbeitsaufwand.

Notariat und Grundbuch

Angesichts des technischen Fortschritts erscheint selbst die teilweise Digitalisierung des Notariats nicht unrealistisch. Die Hauptfunktion eines Notars ist die Beurkundung von Rechtsgeschäften, um Verbindlichkeit zwischen den Parteien herzustellen. Dies betrifft neben Beurkundungen von Testamenten insbesondere das Grundstücksrecht. Ein Kaufvertrag einer Immobilie erhält seine rechtliche Wirkung erst durch die notarielle Beurkundung (§§ 925 II, 125, 126 I BGB). Zudem soll aufgrund der Unübersichtlichkeit des Rechtsgeschäfts eine dritte Person als neutrale Vermittlerpartei auftreten.

Die rechtliche Beratung kann die Blockchain noch nicht übernehmen. Anderes gilt für die Beurkundung des Kaufvertrags. Denn der Ursprungsgedanke dieser Technologie ist gerade die Sicherstellung Transaktionen unmanipulierbar zu machen. Mittels Eintragung in die Blockchain wäre die Transaktion für den Rechtsverkehr einsehbar und unumkehrbar. Damit entfiele auch der Nutzen des Grundbuchs.

Ausblick

Neben den in Teil 1 dargestellten Vorteilen für das Privatleben des Bürgers, bietet die Blockchain auch reichlich Potential im Verhältnis Wirtschaft und Staat. Inwieweit die Technologie die Grundfunktionen des Staats (wie Wahlen, Sozial- und Gesundheitswesen) beeinflussen kann, soll im letzten Teil der Reihe untersucht werden.

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von Dennis Hillemann

Rechtsanwalt bei KPMG Law

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