Leiharbeitsrichtlinie: Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik vor dem EuGH?

Anfang Dezember 2014 hat eine Leiharbeitnehmerin die Bundesrepublik Deutschland vor dem Landgericht Berlin wegen unzureichender Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie 2008/104/EG auf Schadensersatz verklagt (28 O 6/15). Sie verlangt EUR 30.000 Vergütungsdifferenz gegenüber vergleichbaren Stammarbeitnehmern als Schadensersatz, weil es der deutsche Gesetzgeber versäumt habe, einen dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern zu schlechteren Bedingungen zu verbieten.

Die Vertreter der Klägerin haben jetzt bei der Europäischen Kommission auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Bundesrepublik wegen Verstoßes gegen die Leiharbeitsrichtlinie beantragt. Sie argumentieren, dass die Bundesrepublik ihre Pflicht zur Schaffung effektiver Sanktionen gegen Missbrauch von Leiharbeit verletzt habe, weil die derzeitige nationale Rechtslage dauerhafte Leiharbeit zu schlechteren Arbeitsbedingungen als im Einsatzunternehmen ermögliche.

Zwar werde § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG so ausgelegt, dass eine mehr als vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern verboten sei. Jedoch sehe das AÜG keine effektive Sanktion für den Fall der mehr als vorübergehenden Überlassung vor – insbesondere kein zwingendes Equal Pay. So sei eine dauerhafte Überlassung zu schlechteren Arbeitsbedingungen als im Einsatzunternehmen möglich. Die dauerhafte Schlechterstellung von Leiharbeitnehmern widerspreche aber den Zielen der Richtlinie. Viele tausend Leiharbeitnehmer in Deutschland arbeiteten derzeit dauerhaft zu schlechteren Konditionen als die Stammarbeitnehmer, so die Antragsschrift.

Von vornherein völlig aussichtlos erscheint dieser Antrag nicht: In ihrem Bericht über die Anwendung der Leiharbeitsrichtlinie vom 21. März 2014 – COM (2014) 176 hatte die Kommission festgestellt, dass „bestimmte, häufig angewandte Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz in einigen Fällen möglicherweise dazu geführt [haben], dass die Anwendung der Richtlinie keine effektive Verbesserung des Schutzes der Leiharbeitnehmer herbeigeführt hat.“ Deutschland ist hier freilich nicht explizit genannt.

Nach dem Bericht wird die Kommission die Anwendung der Richtlinie auch weiterhin unter Berücksichtigung der künftigen Entwicklungen im Bereich Arbeitsrecht und Leiharbeit genau überwachen, um sicherzustellen, dass ihre Ziele angemessen verwirklicht und ihre Bestimmungen in allen Mitgliedstaaten in vollem Umfang und korrekt in nationales Recht umgesetzt werden. Gegebenenfalls werde sie auch Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleiten.

Wenn die Kommission der Auffassung der Klägerin folgt, hat sie dem Mitgliedstaat zunächst Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Anschließend gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Kommt der Staat dieser Stellungnahme innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist nicht nach, so kann die Kommission den EuGH anrufen. Allerdings dürfte dann bereits die angekündigte Gesetzesreform in Kraft getreten sein, die zwingend Equal Pay nach neun Monaten vorsieht.

Die Antragsschrift im Volltext finden Sie hier.

Dr. André Zimmermann, LL.M.

Counsel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, King & Wood Mallesons LLP, Frankfurt am Main

 

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